Heute hat die zivilgesellschaftliche Allianz Aktion Vierviertel in Bern die Volksinitiative «Für ein modernes Bürgerrecht (Demokratie-Initiative)» lanciert. Die Initiative fordert einen Paradigmenwechsel im Schweizer Bürgerrecht: Wer dauerhaft hier lebt und objektive, abschliessende Kriterien erfüllt, soll einen Anspruch auf Einbürgerung haben. Das Einbürgerungsverfahren soll vereinfacht und die heute oftmals vorherrschende Willkür beendet werden. Damit wird die Demokratie weiterentwickelt – für alle, die hier zuhause sind. Die Unterschriftensammlung läuft ab heute.
Die Schweiz schliesst rund ein Viertel ihrer Bevölkerung vom Bürgerrecht und damit von der Demokratie aus. Das will die «Demokratie-Initiative» ändern: Wer seit fünf Jahren rechtmässig in der Schweiz lebt, nicht schwerwiegend straffällig geworden ist, die innere und äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet, und über Grundkenntnisse einer Landessprache verfügt, soll einen Anspruch auf Einbürgerung haben. So lautet der Text der Volksinitiative «Für ein modernes Bürgerrecht», die heute in Bern lanciert wurde.
Die Volksinitiative wird von der zivilgesellschaftlichen Allianz Aktion Vierviertel getragen. In den letzten Wochen und Monaten sind bereits zahlreiche Lokalkomitees in der ganzen Schweiz entstanden. Darüber hinaus wird die Initiative von der SP, den Grünen, der Operation Libero, der Stiftung für direkte Demokratie, Campax und weiteren Organisationen mitgetragen. Teil des Initiativkomitees sind neben politischen und zivilgesellschaftlichen Persönlichkeiten auch bekannte Namen aus dem Kulturbereich wie Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji, Unternehmerin Sylvie Makela, Filmemacher Samir und die Musiker:innen Tommy Vercetti und Ta’Shan.
Von den acht Millionen Einwohner:innen der Schweiz hat ein Viertel keinen Schweizer Pass – unter ihnen viele hier geborene Secondas und Secondos. Nach wie vor ist es in der Schweiz im europaweiten Vergleich mit am schwersten, eingebürgert zu werden. Während die Vielfalt längst Alltag ist, sind Chancen und Rechte ungleich verteilt – auf politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Ebene. Dies fügt der Demokratie grossen Schaden zu.
Der Weg zu vollwertiger Teilhabe ist die Einbürgerung: das Recht, an Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen, auf einen sicheren Aufenthalt und das Recht, als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft anerkannt zu werden. Niemand muss sich das Bürgerrecht durch Anpassung «verdienen» und niemand mehr mit fragwürdigen Fragen konfrontiert werden. Die einheitlichen Anforderungen sollen der oftmals herrschenden Willkür ein Ende setzen. Die Zukunft unserer Demokratie soll von allen Menschen, die hier leben, mitgestaltet werden.
Arber Bullakaj und Nadra Mao, Vorstandsmitglieder der Aktion Vierviertel, erläuterten an der heutigen Medienkonferenz die Beweggründe für die Volksinitiative. «50 Jahre nach Schwarzenbach und 30 Jahre mit Blocher ist die Zeit reif für einen neuen, mutigen Gesellschaftsentwurf, für eine Vierviertel-Demokratie», so Bullakaj. «Erst wenn alle Menschen in unserer Demokratie frei und gleichberechtigt sind und sich zugehörig fühlen können, wird unsere Demokratie ihrem Namen gerecht.» Nadra Mao betonte: «Die Demokratie sollte die Vielfalt fördern, die persönlichen Freiheiten schützen und den Fortschritt der Gesellschaft ermöglichen.»
Elias Studer vom Verein einbürgerungsgeschichten.ch berichtete von willkürlichen und schikanösen Einbürgerungsverfahren im Kanton Schwyz. Gleichzeitig machte er deutlich, das Problem betreffe die ganze Schweiz. Erst kürzlich sei jemandem im Kanton Aargau ein frisiertes Töffli zum Verhängnis geworden. Für Studer ist deshalb klar: «Mit der Demokratie-Initiative setzen wir der Willkür und der Schikane im Einbürgerungsverfahren ein Ende.»
Der Co-Präsident der Operation Libero, Stefan Manser-Egli, betonte, es werde eine breite und schlagkräftige Bewegung brauchen, um das Bürgerrecht in der Schweiz zu modernisieren: «Viele Menschen haben das Gefühl, es sei ihr Verdienst oder ihr Schicksal, hier geboren zu sein und das Schweizer Bürgerrecht zu haben – und nicht etwa ein glücklicher Zufall.» Doch Demokratie heisse eben one person, one vote, das dürfe nicht eine leere Worthülse bleiben, so Manser-Egli.
Die Genfer Ständerätin Lisa Mazzone hielt fest, dass in der Schweiz eine Bevölkerungsgruppe so gross wie die Romandie nicht an den demokratischen Entscheiden teilhaben könne: «Unsere Demokratie lässt damit zu, dass drei Viertel der Bevölkerung über das Schicksal des übrigen Viertels bestimmen.» An einigen Orten sei dieses Demokratiedefizit noch grösser, etwa in Genf oder Rorschach, wo fast die Hälfte der Bevölkerung ausgeschlossen sei, so Mazzone.
Alt-Ständerat Paul Rechsteiner stellte mit Blick auf die liberale Revolution von 1848 und die Erkämpfung des Frauenstimmrechts mehr als hundert Jahre später fest: «Demokratiepolitische Fortschritte kamen nie von selbst. Auch die Öffnung des Bürgerrechts für alle, die zur Schweizer Wohnbevölkerung gehören, muss erkämpft werden.»
Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Demokratie-Initiative:
https://demokratie-volksinitiative.ch/
Kontaktpersonen für Medienanfragen:
Arber Bullakaj, Präsident Aktion Vierviertel
Die Aktion Vierviertel hat heute den Initiativtext der Volksinitiative für ein modernes Bürgerrecht vorgestellt. Darin fordert die breite zivilgesellschaftliche Allianz einen Anspruch auf Einbürgerung für alle, die seit fünf Jahren in der Schweiz leben und objektive Kriterien erfüllen. Die Demokratie-Initiative soll einen Paradigmenwechsel im Schweizer Bürgerrecht herbeiführen.
Die Schweiz schliesst rund ein Viertel ihrer Bevölkerung vom Bürgerrecht und damit von der Demokratie aus. Das will die «Volksinitiative für ein modernes Bürgerrecht (Demokratie-Initiative)» ändern: In der Bundesverfassung soll ein Anspruch auf Einbürgerung hinzugefügt werden für alle, die seit fünf Jahren rechtmässig in der Schweiz leben, nicht schwerwiegend straffällig geworden sind, die innere und äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährden, und über Grundkenntnisse einer Landessprache verfügen.
«Es ist höchste Zeit für ein Bürgerrecht, welches den Ansprüchen der Schweizer Demokratie gerecht wird», sagt Arber Bullakaj, Präsident der Aktion Vierviertel. Im Herbst finden nationale Wahlen statt, und kaum jemand spricht darüber, dass dabei nur drei Viertel der Schweizer Bevölkerung mitreden dürfen. Mit ihrer Volksinitiative will die Aktion Vierviertel dieses Demokratiedefizit im Wahljahr aufs politische Tapet bringen. «Eine Demokratie misst sich an der gleichberechtigten und vollwertigen Teilhabe ihrer Mitglieder, und da hat die Schweiz heute Nachholbedarf», so Bullakaj. Der Weg zu dieser Teilhabe ist dieEinbürgerung: das Recht, an Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen, auf einen sicheren Aufenthalt und das Recht, als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft anerkannt zu werden.
Die Schweiz braucht einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel: Ein Anspruch auf die Einbürgerung für alle, die dauerhaft hier leben, soll an Stelle der heute oftmals willkürlichen und schikanösen Verfahren treten. «Gleiche Rechte sind das Fundament jeder modernen Demokratie und kein Privileg, das man sich als Bittsteller verdienen muss», betont Arber Bullakaj.
Der Initiativtext wird in den kommenden Wochen bei der Bundeskanzlei eingereicht. Im Frühling wird sich die breite zivilgesellschaftliche Allianz hinter der Bürgerrechts-Initiative der Öffentlichkeit vorstellen und mit der Unterschriftensammlung beginnen. Damit soll die Frage der politischen Teilhabe auch im Wahlherbst zum Thema werden.
Weitere Informationen finden Sie auf unserer Website: www.aktionvierviertel.ch
Arber Bullakaj
Ohne Integration kein Schweizer Pass. Doch was heisst Integration überhaupt? Obwohl das niemand so genau weiss, werden viele Menschen in der Schweiz aufgrund “mangelnder Integration” nicht eingebürgert. Genau hier liegt das Problem.
Sie sei nicht integriert, weil sie mit ihrem Engagement gegen Kuh- und Kirchenglocken Traditionen abschaffen wolle. Mit dieser Begründung wurde Nancy Holten in Gipf-Oberfrick die Einbürgerung verweigert. Viele Einbürgerungswillige in der Schweiz werden mit der Begründung abgelehnt, nicht, zu wenig, oder „nicht allzu ausgeprägt“ integriert zu sein. Dabei ist völlig unklar, was damit genau gemeint ist.
Zwar hält das revidierte und 2018 in Kraft getretene Bürgerrechtsgesetz erstmals fest, wodurch sich eine erfolgreiche Integration insbesondere zeigt, nämlich
a) im Beachten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung;
b) in der Respektierung der Werte der Bundesverfassung;
c) in der Fähigkeit, sich im Alltag in Wort und Schrift in einer Landessprache zu verständigen; und
d) in der Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung.
Schliesslich fordert das Gesetz ebenfalls, mit den „schweizerischen Lebensverhältnissen vertraut zu sein“. So weit, so vage. Während ein Strafregisterauszug (a), ein Sprachdiplom (c) oder ein Arbeitsvertrag (d) handfeste Dokumente und mehr oder weniger objektive Kriterien sind – was noch nicht heisst, dass es legitime und verhältnismässige Kriterien für die Einbürgerung sind – lassen sich die Respektierung der Werte der Bundesverfassung (b) oder eben das Vertrautsein mit den schweizerischen Lebensverhältnissen nicht so einfach bemessen und beurteilen.
Integration wohinein?
Was soll das überhaupt sein, diese „Werte der Bundesverfassung“ und die „schweizerischen Lebensverhältnisse“? Genauso wie die Werte der Bürger:innen in einer vielfältigen Demokratie beträchtlich auseinander gehen, so tun es auch die Lebensverhältnisse. Wessen Werte gilt es also zu respektieren, mit wessen schweizerischen Verhältnissen sich vertraut zu machen? Oder eben: Wohinein genau soll man sich integrieren?
Nun mag man einwenden: Bei Einbürgerungen legen die Gemeinden durchaus fest, was genau sie unter Integration verstehen, etwa die Kenntnis von Sitten und Gebräuchen, die Mitgliedschaft in einem lokalen Verein oder die Namen der Dorfbeizen. Wo also liegt das Problem, wenn die Gemeinden doch sehr genau wissen, was sie unter Integration verstehen?
Kuhglocken und Trainerhosen: das Problem der Willkür
Das erste Problem ist die Willkür. Gerade weil das Gesetz nicht abschliessend definiert, was Integration ist, können Gemeinden und Einbürgerungskommissionen alles Mögliche – oder besser gesagt: alles Störende – darunter verstehen: Politisches Engagement gegen Kuh- und Kirchenglocken? Nicht integriert! Auf der Strasse nicht grüssen? Nicht integriert! In Trainerhosen durchs Dorf laufen? Nicht integriert! Das ist natürlich absurd, und doch haben diese Fälle System, eben weil es keine genaue Definition von Integration gibt. Warum also legt das Parlament nicht einfach genauer fest, was es unter Integration versteht? Die Antwort ist: Es kann nicht. Zumindest nicht, solange es dem Anspruch einer liberalen, rechtsstaatlichen Demokratie gerecht werden will.
Freiheit oder Integration
Denn das ist das zweite Problem mit der Integration: die individuellen Freiheiten. Auch wenn die „Werte der Bundesverfassung“ nirgendwo klar definiert sind, sind es die Grundrechte und -Freiheiten sehr genau: Artikel 7 bis 36 der Verfassung. Sie gelten für alle Menschen in der Schweiz gleichermassen, unabhängig vom Schweizer Pass. Wenn es also Schweizer:innen grösstenteils frei stehen soll, wie sie leben wollen, mit wem und in welchen Verhältnissen, in Trainerhosen oder nicht, sich politisch zu engagieren oder nicht, einer Religion anzugehören oder nicht, einem Verein beizutreten oder nicht – die Antwort ist immer dieselbe: ja, soll es – dann gilt dies auch für Menschen ohne Schweizer Pass. Und damit sind wir beim Kern des Integrationsparadoxes: Viele Anforderungen und Vorstellungen von Integration widersprechen einem der genannten Integrationskriterien gleich selbst: die Respektierung der individuellen Grundrechte und Freiheiten der Bundesverfassung.
Es kann deshalb nicht sein, dass eine Bedingung dafür, durch die Einbürgerung Bürger:in dieser liberalen Demokratie zu werden, darin besteht, auf Grundfreiheiten eben dieser Demokratie zu verzichten und sich anpassen zu müssen. Entsprechend lautet die Frage am Ende: Freiheit oder Integration. Und während Schweizer:innen für sich gerne ersteres in Anspruch nehmen, fordern sie von künftigen Bürger:innen letzteres – und versagen ihnen damit die Freiheit, ein Grundwert der Bundesverfassung und der schweizerischen Lebensverhältnisse.
Erstellt von