Letzte Woche hat der Bundesrat entschieden, die Demokratie-Initiative ohne Gegenvorschlag abzulehnen. Begründet hat der diesen Entscheid mit dem guten alten Föderalismus-Argument: Die Initiative greife erheblich in die bestehenden kantonalen Kompetenzen und die föderalistische Ausgestaltung des ordentlichen Einbürgerungsverfahrens ein. Doch was bedeutet dieser föderalistische Flickenteppich in der Praxis?
Ausgerechnet an dem Tag, an dem der Bundesrat seinen Entscheid kommunizierte, lehnte der Thurgauer Grosse Rat die Einbürgerung von Talal Aldroubi ab. Der Syrer lebt seit 19 Jahren in der Schweiz, seit sieben kämpft er um den roten Pass. Die Gemeinde Romanshorn hatte Aldroubi aufgrund seiner damaligen finanziellen Verhältnisse nicht eingebürgert. Er zog daraufhin bis vor das Bundesgericht.
Das Bundesgericht äusserte zunächst Zweifel, ob der Kanton das Kriterium der «geordneten finanziellen Verhältnisse» überhaupt vorsehen und damit das Bundesrecht beliebig verschärfen darf. Aber eben: der Föderalismus und die kantonalen Kompetenzen. Das Gericht liess die Frage somit offen. Es kam unabhängig davon zum Schluss, dass eine geringfügige Schuld von nur rund 11’500 Franken ohnehin nicht bedeuten könne, dass Aldroubi in «ungeordneten finanziellen Verhältnissen» lebe. Zumal er gut integriert sei, Deutsch spreche, keine Betreibungen habe und keine Gefahr für die Sicherheit darstelle, so das Gericht. Es hielt unmissverständlich fest: die Argumentation der Gemeinde sei willkürlich und haltlos.
Das Bundesgericht wies die Gemeinde an, Aldroubi einzubürgern, was diese dann tat. Im dreistufigen Verfahren brauchte es nun nur noch die Zustimmung des Kantons. Doch wer nun glaubte, das sei eine reine Formalität, machte die Rechnung ohne den Föderalismus. Die Justizkommission des Kantonsparlaments stellte die kantonalen Gesetze über den Bundesgerichtsentscheid. In den Worten eines Parlamentariers: «Es ist egal, was das Bundesgericht entschieden hat.» Das Parlament folgte der Justizkommission und lehnte die Einbürgerung des Syrers mit 72 zu 42 Stimmen deutlich ab.
Der Bundesgerichtsentscheid? Die Rechtsstaatlichkeit? Die Kosten, die aller Voraussicht nach beim Kanton anfallen werden, weil Aldroubi abermals vor Bundesgericht geht und wohl abermals Recht bekommen wird? Pustekuchen. Das deutliche Nein sei das Resultat des Thurgauer Stolzes, so ein Ratsmitglied.
Der Fall Aldroubi ist unfassbar, aber nicht überraschend. Es ist ein Einzelfall, der keiner ist. Diese Willkür hat im Schweizer Einbürgerungsverfahren System. Und man muss sich fragen: Will der Bundesrat wirklich diese Willkür aufrechterhalten, im Namen des Föderalismus?
Der Kanton Thurgau und die Ablehnung des Bundesrats zeigen: Es braucht die Demokratie-Initiative, mehr denn je. Nun liegt der Ball beim eidgenössischen Parlament, um die Willkür im Schweizer Einbürgerungsprozess zu überwinden. Und falls sich dieses, wie der Bundesrat, hinter dem Föderalismus versteckt und aus der Verantwortung stiehlt, dann müssen wir der Demokratie-Initiative an der Urne zum Erfolg verhelfen. Hilfst du uns, die Willkür im Einbürgerungssystem zu bändigen?
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