Sperrfrist: Donnerstag, 21. November, 11:00 Uhr
Medienmitteilung
Heute wurde in Bern die Volksinitiative «Für ein modernes Bürgerrecht (Demokratie-Initiative)”
eingereicht. Das Zustandekommen der Demokratie-Initiative aus der Zivilgesellschaft ist ein
historischer Erfolg und ein Zeichen der Hoffnung. Die Initiative fordert einen Paradigmenwechsel:
Wer hier lebt und objektive Kriterien erfüllt, soll einen Anspruch auf Einbürgerung und auf
vollwertige Teilhabe an der Gesellschaft haben.
Die zivilgesellschaftliche Allianz “Aktion Vierviertel” hat heute in Bern die Demokratie-Initiative mit
104’603 beglaubigten Unterschriften eingereicht. Das Volksbegehren will Einbürgerungsverfahren
mit objektiven und abschliessenden Kriterien vereinfachen und dadurch die heute oftmals
vorherrschende Willkür beenden. Derzeit schliesst die Schweiz mehr als ein Viertel der ständigen
Wohnbevölkerung vom Bürgerrecht und von gleichen politischen Rechten aus.
Die Demokratie-Initiative wird von einer breiten Bewegung aus der Zivilgesellschaft sowie von der SP,
den Grünen, der Operation Libero, der Stiftung für direkte Demokratie, Campax, der Unia, HEKS und
weiteren Organisationen getragen. In den letzten drei Monaten haben noch rund 50’000 Menschen
die Initiative unterschrieben, insgesamt wurden mehr als 135’000 Unterschriften gesammelt.
Ein emotionaler Akt
Dieser Erfolg ist in erster Linie den zahlreichen Lokalkomitees aus der Zivilgesellschaft zu verdanken.
Sie standen die letzten 18 Monate auf der Strasse und haben tausende Unterschriften gesammelt –
unbezahlt, der Witterung, dem Unterschriftenskandal und vereinzelt auch Anfeindungen zum Trotz.
Menschen wie die beiden Lehrerinnen Xhemile Istrefi Ademi und Sovrane Ademi. Die Schwestern
erzählen bei der Einreichung ihre Geschichte: wie sie sich einbürgern lassen wollten und ihnen klar
gemacht wurde, dass sie hier, wo sie geboren und aufgewachsen sind, nicht wirklich willkommen
sind. Wie sie sich von dem Schmerz nicht beirren liessen. Und dass die Demokratie-Initiative für sie
ein emotionaler Akt ist, um tatsächlich etwas zu verändern. Wie Istrefi Ademi sagt, «für eine Zukunft,
in der Heimat bedeutet, dass man auch mitentscheiden darf».
Ein Stück Geschichte
Agnese Zucca, Co-Präsidentin von Aktion Vierviertel, erinnert daran, dass das Schweizer Stimmvolk in
den letzten 50 Jahren seit der Schwarzenbach-Initiative über 13 Vorlagen abstimmte, welche die
Einwanderung und die Rechte von Ausländerinnen und Ausländern einschränken wollten. Mit der
Demokratie-Initiative wird zum ersten Mal seit der Mitenand-Initiative vor ebenfalls fast 50 Jahren
eine Volksinitiative eingereicht, die sich für die Ausweitung der Rechte von Migrantinnen und
Migranten einsetzt. Zucca betont, es gehe nicht nur um politische Rechte und um die Demokratie,
sondern auch um Aufenthaltssicherheit, Reisefreiheit und das Recht, jederzeit in die eigene Heimat,
in die Schweiz, zurückzukehren. 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung haben einen
Migrationshintergrund, bei den Jüngeren gar 60 Prozent. «Wir sprechen nicht nur von der Schweiz
der Zukunft. Es ist die Schweiz von heute. Und es war auch die Schweiz von gestern», macht Zucca
deutlich.
Ein Symbol gelebter Demokratie
Co-Präsident Arbër Bullakaj erinnert daran, dass das Zustandebringen einer Volksinitiative für einen
kleinen, zivilgesellschaftlichen Verein alles andere als selbstverständlich ist. Dieser Erfolg zeigt, was
möglich ist, wenn Menschen sich zusammenschliessen und für eine gemeinsame Vision einstehen:
Wer hier lebt, hat einen Anspruch auf vollwertige Teilhabe. «Die Demokratie-Initiative ist ein Symbol
dafür, dass wir die Demokratie nicht als etwas Gegebenes betrachten dürfen, sondern als lebendiger
Prozess, der von uns allen mitgestaltet werden muss», so Bullakaj. Die heutige Einreichung der
Demokratie-Initiative ist ein erster Schritt hin zu einer Schweiz, in der jede Stimme zählt, in der jede
und jeder gehört wird und in der die Demokratie eine Kraft ist, die alle verbindet.
Die Zukunft ist demokratisch
Ist es nicht verrückt, dass Unterschriften dafür gesammelt werden müssen, dass alle Menschen in
diesem Land eine Stimme haben – oder ist es kalkuliert? Diese Frage stellt Schriftstellerin Melinda
Nadj Abonji aus dem Initiativkomitee – und hält fest: «Hier stimmt etwas grundsätzlich nicht, mit
dieser Ur-Demokratie. Die Schweiz, das wissen wir, schwärmt gern vom Vollfett-Käse, aber die
Realität sieht anders aus: Mager-Demokratie.» Wie Nadj Abonji betont, legt das Schweizer Stimmvolk
seit 100 Jahren aus Angst vor der «Überfremdung» stets ein deutliches und niederschmetterndes
«Nein» in die Urne. Für viele sei das Schweizer Bürgerrecht ein angestammtes Geburts-Privileg, ein
«Läckerli aus guten alten Zeiten». Die Demokratie-Initiative mache «laut und deutlich» darauf
aufmerksam, dass «die Zukunft demokratisch ist», schliesst die Schriftstellerin.
Das Zustandekommen der Demokratie-Initiative aus der Zivilgesellschaft ist ein historischer Erfolg
und ein Zeichen der Hoffnung. Es zeigt, wie dringend die Schweiz ihr Demokratie-Defizit angehen
muss, um das Versprechen der Vorzeigedemokratie auch tatsächlich einzulösen. Nun liegt es an der
Politik, die Demokratie in der Schweiz weiterzuentwickeln.
Die Reden von Xhemile Istrefi Ademi und Sovrane Ademi, Melinda Nadj Abonji, Arbër Bullakaj und
Agnese Zucca finden Sie im Anhang und (ab 11:00 Uhr) auf der Website der
Demokratie-Initiative: https://democratie-initiative.ch/
Personnes de contact pour les demandes des médias :
Arbër Bullakaj (DE), Nadra Mao (FR), Agnese Zucca (IT)
Coprésidence d'Action Quatre Quarts
kontakt@demokratie-volksinitiative.ch
Lisa Mazzone, Präsidentin Grüne Schweiz
lisa.mazzone@gruene.ch
Cédric Wermuth, Co-Präsident SP Schweiz
cedric.wermuth@spschweiz.ch
Stefan Manser-Egli, Co-Präsident Operation Libero
stefan.manser-egli@operation-libero.ch
Daniel Graf, Stiftung für direkte Demokratie
daniel.graf@wecollect.ch
Vania Alleva, Präsidentin Unia
vania.alleva@unia.ch
Claudine Esseiva, Grossrätin FDP
Info@claudine-esseiva.ch
András Özvegyi, Co-Präsident GLP Luzern
oezvegyi@gmx.ch
Reden zur Einreichung der Demokratie-Initiative
Es gilt das gesprochene Wort.
Arbër Bullakaj, Co-Präsident Aktion Vierviertel
Einreichung der Demokratie-Initiative ist eine historische Wende
Sehr verehrte Mitmenschen,
Liebe Zufalls-Schweizer:innen, verifizierte und zertifizierte Schweizer:innen, zukünftige Schweizer:innen,
Liebe vielfältige Schweiz,
Geschätzte Anwesende,
Liebe Demokratie-Begeisterte und Menschenrechtler:innen,
Buongiorno, Bonjour, Guten Morgen!
Wir stehen heute vor dieser beeindruckenden Unterschriftenwand – ein Symbol für die Initiative und für die Vielfalt und Stärke der Schweizer Bevölkerung. Es war ein langer, steiniger Weg, der uns allen viel abverlangt hat. Und dennoch stehen wir heute hier, nicht nur mit über 135’000 Unterschriften, sondern auch mit einem klaren Zeichen für Veränderung und Fortschritt.
Der Weg zu dieser Volksinitiative war alles andere als selbstverständlich. Viele haben uns gewarnt: Ein kleiner, zivilgesellschaftlicher Verein wie unserer könne ein solches Vorhaben nicht stemmen. Ohne die grossen Parteien und Gewerkschaften, die den grössten Teil der Unterschriften stemmen, hiess es, sei es unmöglich, genügend Unterschriften zu sammeln. “Verschiebt es lieber”, sagten sie, “es ist zu riskant”.
Doch wir haben daran geglaubt. Wir haben an die Vision geglaubt, dass sich genug Menschen unserer Sache anschliessen würden. Und wir haben an unsere Verpflichtung geglaubt, für über zwei Millionen Menschen in diesem Land einzustehen, die längst mehr Fairness und Gerechtigkeit verdienen.
Sechs Zahlen stehen sinnbildlich für diesen Prozess: 1, 2, 3, 4, 5 und 1000.
1:
Wir sind die einzige progressive Bürgerrechts- und Migrationsinitiative der Schweiz. Seit über 50 Jahren ist keine vergleichbare Initiative lanciert worden. Und wir sind die einzigen, die das mit einem kleinen Verein, der sich zu einer lebendigen Bewegung entwickelt hat, gestemmt haben. Heute haben wir Geschichte geschrieben!
2:
Die Zwei war unser treuer Begleiter. Zwei Jahre intensiver Arbeit an unserem Manifest und an der Vereinsstruktur, zwei weitere Jahre für die Ausarbeitung der Initiative, und schlussendlich zwei Jahre für die Vorbereitung und Umsetzung der Unterschriftensammlung.
3:
Jetzt, nach der Einreichung, kann es bis zu drei Jahre dauern, bis die Initiative zur Abstimmung kommt. Aber das ist keine Zeit zum Warten – es ist eine Zeit zum Handeln. Wir werden die Bevölkerung weiter sensibilisieren, informieren und aufklären über die Hürden und die Willkür, die so viele Menschen im Einbürgerungsprozess erleben.
4:
Die Vier steht für die vier Landessprachen der Schweiz und für die Vision einer Vierviertel-Schweiz, die unseren Verein Aktion Vierviertel antreibt. Unser Ziel ist ein Paradigmenwechsel im Bürger:innenrecht – eine Chance, endlich eine vollwertige Vierviertel-Demokratie zu schaffen.
5:
Die Fünf symbolisiert ein High Five für jede einzelne Person, die diese Initiative möglich gemacht hat: Menschen, die Tag für Tag bei Sonne, Regen, Kälte oder Dunkelheit Unterschriften gesammelt haben. Ihr seid einfach grossartig!
1000:
Ich stehe hier vor euch mit Demut und Dankbarkeit. Tausendfacher Dank gebührt all jenen, die uns unterstützt haben:
- Den Mitgliedern, die unseren Verein tragen und vorantreiben.
- Dem Initiativkomitee, das unermüdlich mit uns gearbeitet hat.
- Unseren Partnern: SP, Grüne, Operation Libero, Wecollect, Juso und Junge Grüne und Gewerkschaften.
- Den weiteren NGO’s, kirchlichen Organisationen und Unterstützern.
- Meinem Vorstand, mit dem wir unzählige Stunden diskutiert, debattiert und vor allem wertvolles erschaffen haben.
- Meinen Co-Präsidentinnen Nadra Mao und Agnese Zucca für die aussergewöhnlich tolle Zusammenarbeit.
- Den Menschen mit und ohne Schweizer Pass, die uns unterstützen – jetzt und im kommenden Abstimmungskampf.
- Und allen, die Willkür erlebt, aber nie aufgegeben haben. Euer Mut und eure Beharrlichkeit inspirieren uns und geben unserer Arbeit Sinn.
Liebe Anwesende,
dieser Moment gehört uns allen – denen, die hier leben, hier mitwirken und mitgestalten wollen. Die Demokratie-Initiative ist ein Symbol dafür, dass Demokratie ein lebendiger Prozess ist, den wir alle aktiv gestalten müssen.
Lasst uns diesen Schwung mitnehmen und weiter für eine Schweiz kämpfen, in der jede Stimme zählt, jede:r gehört wird und die Demokratie eine Kraft ist, die verbindet.
Vielen Dank!
Agnese Zucca, Co-Präsidentin Aktion Vierviertel
Ce l’abbiamo fatta.
Negli ultimi 50 anni, da Schwarzenbach in poi siamo stati chiamati alle urne 13 volte per esprimerci su
iniziative volte a limitare l’immigrazione o i diritti di chi ha un presente o un passato migratorio. Oggi è
una giornata storica. Per la prima volta dal 1977, con l’iniziativa Mitenand, depositiamo un’iniziativa
popolare che invece si batte per l’espansione dei diritti dei migranti e delle migranti e di tutte le
persone che qui sono a casa.
Lo ripetiamo da 18 mesi – si tratta un quarto della popolazione, due milioni di persone che ad oggi
non vengono considerate come membri a pieno titolo della società perché sprovviste del passaporto
elvetico. Et il ne s’agit pas seulement d’exclusion des processus démocratiques, de la possibilité de
pouvoir s’exprimer sur des sujets par lesquels ces personnes – tout aussi comme ceux et celles d’entre
nous qui peuvent voter – sont concernées. Si tratta anche di avere la sicurezza di poter restare. Di non
dover temere di vedere il proprio permesso di soggiorno declassato, o ritirato, a causa di difficoltà
economiche. Il s’agit de pouvoir voyager et se déplacer en toute liberté et d’avoir la liberté de
retourner dans ce qui est son propre pays, sa propre maison.
La nostra società cambia, ma il mondo politico non reagisce, resta indietro. Nous avons reculé au lieu
d’avancer. Nos procédures de naturalisation restent discriminatoires et souvent arbitraires. Les
rapports montrent qu’on devient toujours plus sélectifs, en fonction de l’origine et de la condition
sociale et économique. Al contempo, il 40% della popolazione di questo paese ha un passato
migratorio, addirittura il 60% se consideriamo le popolazioni più giovani. Quella di cui stiamo parlando
non è solo la Svizzera del futuro. È la Svizzera di oggi. Ed era la Svizzera già ieri. Celle dont nous parlons
n’est pas que la Suisse de demain. C’est la Suisse d’aujourd’hui. Et c’était déjà la Suisse d’hier.
Dobbiamo adattare la nostra democrazia alla realtà e includere tutte le persone che contribuiscono
ogni giorno al benessere di questa società, e non soltanto a quello economico, un benessere da cui
alcuni continuano a volerle escludere. Un benessere che costruiscono, ma che in qualche modo non
gli appartiene.
Oggi scriviamo un pezzo di storia. Et si nous sommes arrivés ici, si on a franchi cette étape, c’est
surtout grâce à l’incroyable effort de nos militantes qui sont descendues dans les rues, qui n’ont rien
lâché pendant ces 18 mois. Je les remercie du fond du coeur, tout comme mes collègues d’Action
Quatre Quarts et tous ceux et celles qui se sont battus de nos côtés.
La battaglia è ancora lunga, ma oggi fermiamoci a celebrare.
Melinda Nadj Abonji, Initiativkomitee
Warum wir hier sind. Weil wir etwas zu feiern haben. Dass über 130’000 Menschen die 4/4 Initiative
unterschrieben haben. Jede Unterschrift bedeutet eine Stimme. Und es haben auch Menschen für die
Initiative gesammelt, die keine Stimme haben. In diesem Land, in dem sie leben, arbeiten, Steuern
zahlen, ihre Ideen einbringen; in diesem Land, in dem ihre Kinder geboren sind, die Schule besuchen
und Freundschaften knüpfen, über alle Nationalitäten hinweg. Seien wir ehrlich: Ist es nicht verrückt,
dass dafür Unterschriften gesammelt werden müssen? Dass ein Land seinem Demokratie-Anspruch
eigentlich nicht gerecht wird? Dass eine Demokratie, die sich für die beste aller Demokratien hält,
einen Viertel ihrer Bevölkerung vom Stimm- und Wahlrecht ausschliesst? Ist das verrückt – oder
kalkuliert?
Kalkuliert? Warum das kalkuliert sein soll, fragen Sie mich?
Weil der Umgang mit dem Stimm- und Wahlrecht sehr emotional ist. Und diese Emotionalität
politisch profitabel ist. Weil man mit einem absurd exklusiven Bürgerrecht einen Keil treibt zwischen
jene, die eine Stimme haben und den anderen, die keine Stimme haben und keine haben sollen.
Stimme und stumm. Es ist aber, wir wissen es längst, demokratiepolitisch bedenklich, dass es Städte
gibt wie Kreuzlingen, in denen mitunter 10% der Bevölkerung den Ausgang der Wahlen und
Abstimmungen entscheiden. 10%. Das klingt nicht nach Demokratie. Sie haben Recht. Auch nicht nach
Monarchie. Wir müssten einen neuen Namen erfinden. Eine Zehntel-Demokratie? Klingt nicht gut.
Aber tatsächlich, die Richtung, in die sich die Schweiz demokratiepolitisch entwickelt, ist bedenklich.
Deshalb sind wir hier. Um zu feiern. Und um zu sagen: Hier stimmt was grundsätzlich nicht. Mit dieser
Ur-Demokratie. Die Schweiz, das wissen wir, schwärmt gern vom Vollfett-Käse, aber die Realität sieht
anders aus. Mager-Demokratie. Das hat was. Ich bin nicht hier, um Scherze zu machen. Warum
eigentlich nicht? Besser scherzen, als verzweifeln. Wenn in der ältesten Demokratie, mit ihren checks
and balances, ein Krimineller Präsident wird. Da stellt sich auch die Frage, wie das demokratiepolitisch
zu rechtfertigen ist. Wenn Markus Somm von einer «reifen Demokratie» schwärmt. Reif – wie schön.
Eine reife Frucht. Eine reife Liebe. Eine reife Leistung. Zum Pflücken reif. Mir wird schwindlig, bei so
viel Reife, Herr Sommer. Danke Herr Rutishauser, dass sie diese reife Einschätzung ohne Wenn und
Aber publizierten, in Ihrem Sonntagsblatt. Aber wir sind ja hier, nicht dort, im Land der Grenzenlosen.
So reif sind wir noch nicht. Auch wenn einige gern schon so reif wären. Doch lassen Sie mich eine
ernste Frage stellen: Warum hängt die Mehrheit so an ihrem Stimm- und Wahlrecht? Warum wollen
sie es so ungern teilen? Teilen ist natürlich missverständlich, aber Sie wissen, was ich meine.
Vox-Analysen zu verschiedenen ausländerpolitischen Vorlagen zwischen 1970 bis 1987 haben
ergeben, dass die Stimmberechtigten jeweils für oder gegen «Ausländer:innen» stimmten, ganz egal,
worum es im Einzelnen in der Vorlage ging. Angst vor «Überfremdung» – so wurde ein ablehnender
Entscheid oftmals begründet; «die Ausländer sollen nicht über uns bestimmen», bald seien die
Schweizer «Untertanen». Erstaunlich, finden Sie nicht? Da drängen sich demokratiepolitisch und
natürlich auch menschlich ein paar Gedanken auf. Ihr sollt nicht über uns bestimmen, also bestimmen
wir über euch. Naja. Wir sind schliesslich hier geboren, auf Schweizerboden. Und dann das Wort
«Untertanen». Naja. Da denke ich direkt an die Obrigkeit. Ans Mittelalter, an biblische Zeiten. Und das
Prinzip «Überfremdung» hat sich ja bewährt; seit 100 Jahren holen es die guten Vögte aus dem
Giftschrank, um ihre Gefolgschaft bei jeder sich bietenden Gelegenheit daran zu erinnern, dass sie
«überfremdet» werden, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis sich die masseneingewanderten
«Fremden» ihr Bürger- und Stimmrecht «erschleichen». Bis jetzt hat sich das Stimmvolk aber gewehrt,
bei jeder Abstimmung über die politischen Rechte die Stimme erhoben, ein klares und deutliches und
niederschmetterndes «Nein» in die Urne gelegt, wir lassen es nicht zu, dass die Fremden über uns
bestimmen.
Absurd, nicht wahr? Dass man als Stimmberechtigte dieses angestammte Geburts-Privileg bewahren
möchte, sozusagen als Läckerli aus guten alten Zeiten, da die wehrhaften Schweizer die fremden
Vögte aus dem Land jagten. Erstaunlich, wie weit man gehen kann, um nicht über die eigenen
Gratis-Privilegien nachdenken zu müssen, der unvergleichlichen Lust, sich überlegen zu fühlen – wie
bitte? Demokratie? Ja, aber nur für uns!
Aber genau deshalb sind wir hier. Weil die Schweiz ein Demokratie-Defizit hat. Weil wir an diesen
grundsätzlichen Widerspruch erinnern wollen, zwischen einer nationalistischen
Demokratie-Vorstellung, die sich Richtung Oligarchie entwickelt, und einer demokratischen
Demokratie, in der jeder Mensch mit seiner Stimme Teil der Demokratie und Teil von demokratischen
Prozessen ist. Und ja, wir wollen feiern, weil wir das Absurde geschafft haben, über 130’000
Unterschriften zu sammeln, um laut und deutlich und gemeinsam darauf aufmerksam zu machen,
dass die Zukunft demokratisch ist, und das ist nur möglich, wenn die Mehrheit bereit ist, ihr wohlig
wärmendes Suprematie-Denken aufzugeben.
Xhemile Istrefi Ademi und Sovrane Ademi, Lokalkomitee Schwyz
Guten Tag alle zusammen. Mein Name ist Xhemile und das ist meine Schwester Sovrane. Wir stehen
heute hier, weil wir eine Geschichte zu erzählen haben – eine Geschichte über Heimat, Identität und
den starken Wunsch, Teil unserer Gesellschaft zu sein. Unsere Geschichte beginnt hier in der Schweiz,
unserem Zuhause, seit unserem allerersten Atemzug.
Wir sind hier geboren, hier aufgewachsen. Die Schweiz ist das Land, das wir kennen und lieben. Sie
hat uns geprägt, unsere Werte und Träume geformt. Für uns war klar: Hier gehört unser Herz hin, und
hier wollen wir auch als Bürgerinnen Teil der Gemeinschaft sein, unsere Zukunft mitgestalten. Deshalb
reichten wir vor einigen Jahren als junge Pädagogikstudentinnen das Einbürgerungsgesuch ein –
gemeinsam, im sogenannten ‘Doppelpack’.
Doch was dann geschah, erschütterte uns zutiefst. Fast alle Kosten waren schon bezahlt, der Prozess
war fast abgeschlossen. Aber dann kam eine Begründung, die uns sprachlos machte: Man forderte
uns auf, unser Gesuch zurückzuziehen, weil wir unser Studium ja abbrechen könnten und dann
Sozialhilfe beanspruchen würden.
Da standen wir nun, zwei Studentinnen voller Leidenschaft und Überzeugung, bereit, als Lehrerinnen
den Kindern unserer Gesellschaft etwas zurückzugeben, und uns wurde unterstellt, wir könnten
scheitern und zur Last fallen. Es fühlte sich an, als würde uns das Land, das wir Zuhause nennen, nicht
als Teil seiner Gemeinschaft sehen. Als würde es sagen: ‘Ihr seid nicht wirklich willkommen hier.’
Doch wir haben unser Studium nicht abgebrochen. Wir haben es abgeschlossen und sind heute
Lehrerinnen – genau so, wie wir es immer geplant hatten. Die Schweiz ist unser Zuhause, und obwohl
dieser Moment tief schmerzte, haben wir nie aufgehört zu glauben, dass wir etwas für unsere
Gesellschaft tun können.
Dann kam die Demokratie-Initiative. Diese Initiative gab uns das Gefühl, dass wir wieder etwas
bewegen können, dass wir für Menschen wie uns kämpfen können. Dass wir eine Stimme haben, und
dass auch wir bestimmen dürfen, was in unserem Zuhause passiert. Es war und ist ein emotionaler
Akt für uns – nicht nur dabei zu sein, sondern tatsächlich etwas zu verändern.
Seitdem sind wir nach der Schule, nach einem langen Tag mit unseren SchülerInnen, oft direkt auf die
Strasse gegangen, um Unterschriften zu sammeln. Wir tun das, weil es nicht nur um uns geht – es
geht um die Zukunft. Es geht darum, dass Menschen wie wir, die dieses Land lieben und hier
verwurzelt sind, ein Mitspracherecht haben. Dass wir für uns selbst und für die nächste Generation
einstehen können.
Wir stehen hier, weil wir an eine bessere Zukunft glauben – eine Zukunft, in der jeder, der hier lebt,
gehört wird und mitgestalten kann. Eine Zukunft, in der Heimat bedeutet, dass man auch
mitentscheiden darf.
Danke.