In diesem Jahr ist Hilmi Gashi von den Grünen Präsident des Grossen Gemeinderates von Muri bei Bern. Der Gewerkschafter hat ein bewegtes Leben und geniesst auch bei politischen Gegnern einen guten Ruf.
Er sagt: „Ich möchte helfen, Menschen sichtbar machen, die man sonst nicht so gut sieht.“
Dass Hilmi Gashi im Jahr 2025 der „höchste Muri-Gümliger“ ist, hat auch mit Zufall zu tun. Aufgewachsen ist Gashi als ältestes von sieben Geschwistern in Atmagjë, einem Dorf in der Nähe von Prizren im Kosovo. Nach seiner Matura studierte Gashi in Pristina Wirtschaft, wegen der Unruhen in seinem Land musste er das Studium nach drei Jahren aber abbrechen. Und eigentlich wollte der gebürtige Kosovare damals in den Semesterferien nach England gehen, um einen Saisonjob zu suchen, landete dann aber dank Bekannten in Bern.
„Über die Schweiz wusste ich wenig, mit 14 habe ich Wilhelm Tell auf Albanisch gelesen und als Fussball-Begeisterter kannte ich Xamax Neuenburg, das damals im Europacup für Furore sorgte“, sagt Gashi und lacht. „Die Erzählungen der Saisonniers, denen ich als Jugendlicher in Kosova begegnete, waren auf jeden Fall nicht nur schmeichelhaft für die Schweiz.“
Nach seiner Ankunft hatten sich die negativen Erzählungen zum Teil bewahrheitet. „Ich kam später ohne Netzwerk ins Land und arbeitete zuerst als Maler auf dem Bau und wohnte in einem Haus in Kirchenfeld mit drei weiteren Bauarbeitern in einem Zimmer. Das war schon fast luxuriös. Andere Saisoniers wohnten in schlecht isolierten Baracken am Strassenrand. Öffentliche Plätze in Bern waren wichtig für die Saisoniers. Wir trafen uns am Bahnhof, in der Christoffel-Beiz in der Bahnhof-Unterführung oder beim Schach auf dem Bärenplatz“, erzählt Gashi. Nur langsam fand er seinen Platz in der Gesellschaft.
„Ich hatte Glück und konnte mein Studium an der Uni Freiburg wieder aufnehmen. In meiner WG lebten spannende Menschen aus allen Ecken der Schweiz und ich fand mich immer besser zurecht.“ Die Schweiz lernte er zuerst allein und später mit seiner Frau Violeta und den Söhnen Lenart und Endrit beim Wandern, Velofahren und bei zahlreichen Ausflügen und Ferien mit dem Zug oder Postauto durchs ganze Land kennen.
Mit der Familie nach Muri Später zog Hilmi Gashi mit seiner Familie nach Muri. Viele positive Erinnerungen hängen mit dem Fussball zusammen. Der Fussballplatz ist ein guter Begegnungsort, sagt Gashi. „Die Clubs leisten in der Schweiz eine sehr grosse Arbeit bei der Integration.“
Engagiert im Elternrat trainierte Gashi denn auch selbst bald Klassen beim Schülercup, später traten Lenart und Endrit beim FC Muri-Gümligen ein. „Als eine Mannschaft aufgelöst werden sollte, weil sie keine Trainer mehr hatte, meldete ich mich.“ Hilmi Gashi absolvierte den Trainer-Grundkurs und bildete sich mit Tutorials im Internet weiter. Auch in der Freizeit gilt für Gashi: Unvorbereitet gibt’s nicht.
In seiner Jugend war er selbst polysportiv unterwegs, spielte Fussball, Basketball, Tischtennis und Kampfsport. „Ich brauchte immer viel Bewegung. Noch heute kommen mir die besten Ideen eher bei einem Spaziergang im Wald als am Schreibtisch.“ Und wenn Gashi Zeit findet, hört er gerne eher innovativen Alternativrock, er spielt auch selbst Gitarre.
Keine Abstimmung verpasst „Ich war immer ein politischer Mensch“, erzählt Gashi. „Nach meiner Einbürgerung im Jahr 2008 habe ich mich dann vermehrt persönlich engagiert. In Bern suchte ich politischen Anschluss und fand diesen im Grünen Bündnis. Einerseits durch Bekanntschaften und andererseits hatte ich damals die grössten politischen Schnittmengen mit dem GB.“
Durch sein Engagement in der Integrationspolitik und seinen Job bei der Gewerkschaft Unia würde Gashi heute wohl auch gut zur SP passen. Seit seiner Einbürgerung hat Hilmi Gashi noch keine Abstimmung verpasst, darauf ist er stolz. Die politische Teilhabe empfindet Gashi als Privileg, und er möchte sie darum auch Ausländerinnen und Ausländern, die hier wohnhaft sind, ermöglichen.
„Viele setzen sich beruflich oder auch gesellschaftlich ein, erledigen ihre Pflichten, bezahlen Steuern, um dann zu merken, dass sie nicht abstimmen dürfen. Gegen diese und andere strukturelle Barrieren setze ich mich ein. Ich möchte helfen, Menschen sichtbar machen, die man sonst nicht so gut sieht.“
Ausserhalb der Gemeinde und des Muriger Parlaments engagiert sich Hilmi Gashi bei der Vierviertel-Initiative im Verein und im Initiativ-Komitee. „Es geht darum, die 25% der Menschen ohne Schweizer Pass in den politischen Diskurs einzubauen. Das stärkt unsere direkte Demokratie und macht sie inklusiver.“
Die Migranten seien keine homogene Gruppe, sie hätten verschiedene Meinungen, auch politisch, genau wie die Gesellschaft, die bereits hier lebe, sagt er. „Ich kenne Kosovaren, die politisieren in der SVP, andere bezeichnen sich als liberal oder orientieren sich links. Ich persönlich finde politisches Engagement wichtig, aber ich habe auch Verständnis für jene, die es nicht tun.“
„Höchster Muri-Gümliger“ Bei der ersten Parlamentssitzung des Jahres wurde er einstimmig als Präsident des Grossen Gemeinderates gewählt – seine Frau und die beiden Söhne waren in der Aula des Schulhauses Moos zugegen – und ist jetzt ein Jahr lang der „höchste Muri-Gümliger“. Bei seiner kurzen Eröffnungsrede sagte Gashi, dass er vor drei Jahrzehnten bei seiner Ankunft in der Schweiz nie damit gerechnet hätte, einst Parlamentspräsident einer Gemeinde wie Muri bei Bern zu werden.
Gashi geniesst in der Lokalpolitik weit über Parteigrenzen hinweg einen guten Ruf als umsichtiger und stets dossiersicherer Politiker. Geschätzt werden neben seiner ruhigen Art auch die Fähigkeit, zuzuhören und andere Meinungen zu akzeptieren. Gute Voraussetzungen für die anspruchsvolle Aufgabe, die GGR-Sitzungen zu leiten.
„Ich möchte zusammen mit dem Ratsbüro eine positive Diskussionsbasis ermöglichen und die Debatten mit Bedacht leiten. Das bedeutet für mich, gut planen und vorbereiten, damit das Parlament den Fokus auf die Inhalte und nicht auf Formalitäten legen kann. Selbstverständlich werde ich ein Ratspräsident für alle sein und mich politisch neutral verhalten.“
Dass er das gut kann, hat er dann sogleich bewiesen. Dabei war es eine schwierige und für den Monat Januar außergewöhnlich lange Sitzung, die Gashi aber bis zum Ende um 23.30 Uhr souverän geleitet hat.